[Die im Englischen zitierten Passagen in diesem Beitrag stehen übersetzt ins Deutsche am Ende des Textes.]
2. Teil: Zur Wirksamkeit eines Ökozidgesetzes
Dr. Nana Karlstetter, mit Dank an Ulrike Hübner für die wertvollen Hinweise und Anmerkungen
Im Februar 2025 hat die „Working Group on the National Criminalisation of Ecocide“ ein Manual veröffentlicht, das gesetzgebenden Akteuren Hinweise und Anleitung geben möchte für die Umsetzung der neuen Environmental Crime Directive (ECD) der EU in nationales Recht. Konkret müssen die diesbezüglichen nationalen Regelungen bis 21. Mai 2025 vorgenommen werden – auch in Deutschland.
Im Vorwort dieses Manuals heißt es: „The concept of the criminalisation of ecocide — the large-scale destruction of our living environment — is again at the forefront of worldwide attention. […] Simply put, ecocide is the murder of nature. And yet, that type of murder isn’t a crime under any existing law. Not yet. This needs to change. […] Of the 35 planetary vital signs that scientists use to track climate change annually, 25 are at record extremes. You have the chance to make your implementation of the ECD a powerful tool in the fight against the ongoing war on nature — a war that, tragically, we are winning at an unprecedented scale. And if we win, we are all lost.“[1] Und weiter „The ECD obliges EU Member States to adopt certain environmental criminal laws, including an offence for ‘ecocide-like’ cases, within two years. This project seizes this moment to support effective and comprehensive criminalisation of serious environmental harm within the EU.„[2](https://law.ucla.edu/sites/default/files/PDFs/Promise_Europe/MANUAL_FOR_A_NATIONAL_CRIMINALISATION_OF_ECOCIDE-5.pdf)
Es gibt verschiedene Ebenen, sich diesem Thema zu nähern. Im folgenden skizziere ich drei Zugangsperspektiven. Dies sind natürlich längst nicht die einzigen und sie sollen hier mitnichten vollständig erörtert werden. Mir geht es in diesem Beitrag darum einsehbar zu machen um welche Aufgabe es beim Ökozidgesetz geht. Denn es geht im Kern dabei nicht einfach um eine zusätzliches neues Gesetzes in unseren sozialen und rechtlichen Landschaften, es geht auch nicht um Spitzfindigkeiten zwischen verschiedenen Ländern und deren unterschiedlicher Auslegung von Recht, von „gut und richtig“ und insbesondere von „wichtig“. Es geht vielmehr darum, zu verstehen welche Rolle ein Ökozidgesetz spielen muss, damit es diesen Namen verdient. Denn seinen Namen verdient es nur dann, wenn es ziemlich zeitnah wirksam wird und zwar richtig gut wirksam. Warum? Ja, warum nur.
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Ökoziddefinition
Eine erste Zugangsperspektive ist die Definition von Ökozid bzw. deren Auslegung. Das Manual bezieht sich auf die Definition der Stop Ecocide Foundation von 2021: „ “ecocide” means unlawful or wanton acts committed with knowledge that there is a substantial likelihood of severe and either widespread or long-term damage to the environment being caused by those acts.“[3] (https://www.stopecocide.earth/legal-definition).
Was bedeutet das genau, worauf bezieht es sich in der Realität? Zum Beispiel kann hier gefragt werden, worin ein „act“ überhaupt besteht, denn es gibt direkte Auswirkungen auf die Umwelt, wie etwa den Austritt von Chemikalien oder Müllentsorgung außerhalb von Deponien. Es ist jedoch auch bekannt, dass viele Zerstörungen von regionalen oder globalen Ökosystemen bis hin zu den unsere Lebensgrundlagen erhaltenden Kreisläufen (vgl. klimatische Kipppunkte https://www.ted.com/talks/johan_rockstrom_the_tipping_points_of_climate_change_and_where_we_stand?share=17fcbd5629&language=de [das Video hat Untertitel in verschiedenen Sprachen]) nicht direkt auf einen „Akt“ eines Akteurs zurückführbar sind. Das ist bereits so in der Frage, ob und wie zu viel Nitrat im Grundwasser einem bestimmten Landwirt zugeordnet werden kann. Dabei gilt die Wasserrahmenrichtlinie, die das unterbinden sollte, als Gesetz schon lange. Nicht zuletzt machen sich viele umweltzerstörenden Handlungen erst in Zukunft bemerkbar – und es ist zu spät, wenn sie erst einmal eingetreten sind.
Zudem summieren sich negative Umweltwirkungen meistens sukzessive und an mannigfaltigen Stellen über die gesamte Kette eines Produkts über Rohstoff-Mining, Produktion, Konsum und Entsorgung entstehen. Nimmt man die obige Definition ernst, insbesondere das Wort „severe“, dann müsste quasi zu sofort die gesamte kapitalistische Wirtschaftsweise eingestellt werden. Denn sie beruht direkt und eindeutig zuordenbar auf 1. der Verbrennung fossiler Energien (https://ourworldindata.org/grapher/global-primary-energy; https://www.resilience.org/stories/2024-02-08/steve-keen-on-the-origins-of-energy-blindness/), 2. auf der billigen Ausbeutung natürlicher Ressourcen/Rohstoffe (https://www.youtube.com/watch?v=eojZW6xo3T8; https://www.youtube.com/watch?v=sWlbnNDu6OE) und 3. darauf, dass Umweltbelastungen durch Rohstoff-Beschaffung (Mining), Produktion und Entsorgung der Produkte keine oder kaum eine (finanzielle) Rolle spielen bzw. systematisch ausgepreist (externalisiert) werden können (https://www.exploring-economics.org/de/studieren/buecher/einverleiben-und-externalisieren/). Bahnbrechend deshalb – und dennoch lange noch nicht ausreichend – neueste wissenschaftliche Entwicklungen in der Attributionsforschung, die berechenbar und damit strafverfolgbar machen, welche Unternehmen den größten Anteil an bspw. den Kosten durch extreme klimawandelbedingte Hitze haben. Laut dieser neuen Studie sind es 5: https://www.nature.com/articles/s41586-025-08751-3.
Ein sehr eindrückliches Beispiel ist Plastik (https://www.futurezone.de/science/article636286/mikroplastik-studie-prognostiziert-globale-katastrophe.html). Aus fossilen Rohstoffen hergestellt unter Verwendung enormer Mengen ebenfalls fossiler Energie, befindet es sich inzwischen überall, mit unbekannten Schäden für Mensch, Tier und Pflanze (https://www.thuenen.de/de/themenfelder/boden/plastik-im-boden). Das ist bekannt, es geht hier nicht um ein Wissensdefizit. Seine Produktionsmengen stiegen historisch in selber Weise wie der Energieverbrauch seit der Industrialisierung (vgl. oben).
Die Plastikproduktion ist sehr rentabel: sie soll weiter hochgefahren werden, absehbar mit einer weiteren Verdopplung bis 2040 und einer Vervierfachung des Plastikmülls allein im Meer. Recycling findet kaum statt, es ist auch ökonomisch nicht erforderlich bzw. wäre es nur eine Belastung, die die Gewinnmargen reduziert. Und bei all den vielen chemischen Stoffkombinationen der Kunststoffe ist es ohnehin unklar, ob Recycling, geschweige denn ein geschlossener Stoffkreislauf überhaupt machbar ist (https://www.wwf.at/wwf-studie-2050-droht-vervierfachung-des-plastikmuells-im-meer/, https://www.tagesschau.de/investigativ/ndr/recycling-plastik-basf-plastics-europe-vci-umweltschutz-100.html, https://exit-plastik.de/plastikproduktion/).
Dabei hat die Plastikverschmutzung jetzt schon gravierende Auswirkungen von Plastikteppichen im Meer, von denen kein Mensch weiß, wie sie dort wieder weggeholt werden können, bis hin zu massiver Schädigung der Biodiversität (Vögel und andere Tiere ersticken daran und ihre Küken verhungern mit vollem Magen, in dem nichts als Plastik ist) und auch der Gesundheit des Menschen (z.B. https://www.oekotest.de/essen-trinken/Studie-Flaschenwasser-enthaelt-noch-mehr-Plastikpartikel-als-bekannt_14359_1.html). Eine gesetzliche Grundlage, die das verhindern möchte, wird eine unmissverständliche Definition von Ökozid ins Zentrum stellen müssen, verbunden mit eindeutigen Maßgaben für die Zuordnung von Schuld..
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Die Priorisierung von Ökozid im Gesetzgebungsgefüge
Die Stellung einer Ökozid-Gesetzgebung innerhalb des Gesetzgebungsgefüges einer Gesellschaft ist eine weitere Zugangsachse. Das Manual schreibt dazu: „This manual is designed to equip politicians, lawmakers, and legislative drafters with practical options to implement the ECD’s ecocide-like crime in their national legislation, should they wish to do so. This could be done as a stand-alone crime, or as part of a broader set of provisions.“[4](https://law.ucla.edu/sites/default/files/PDFs/Promise_Europe/MANUAL_FOR_A_NATIONAL_CRIMINALISATION_OF_ECOCIDE-5.pdf, Seite 6, §2).
Im Zitat oben ist die Rede von ökozid-ähnlich, gefolgt von einer sehr schwach formulierten Umsetzungsempfehlung. Selbst unter Voraussetzung einer exakten Ökoziddefinition ist unklar, was die Formulierungen faktisch bewirken. Wie werden Formulierungen wie „ökozid-ähnlich“ definiert und rechtlich ausgelegt? Bedeuten die möglichen Auslegungen eine Verschärfung der EU Mindestvorgaben oder Empfehlungen oder bleiben Hintertüren, über die wirtschaftliche Interessen doch in unangebrachter Weise priorisiert werden können? Vielleicht werden diese Hintertüren genutzt um in ökonomischen und gesellschaftlichen Bedingungen doch nichts ändern zu müssen?
Die nächste Frage ist, wo im Gesetzes-Gefüge steht das Ökozidgesetz, wie ist es priorisiert im Vergleich zu anderen gesetzlichen Regelungen bzw. gesellschaftlichen Belangen? Ist Ökozid ein eigener Straftatbestand? Wo im gesetzlichen Gefüge wäre der Straftatbestand verankert, welchen anderen Gesetzen ist er nach-, welchen vorgeordnet? Ich möchte diese Fragen an dieser Stelle nicht beantworten. Mir geht es darum sie (und weitere, die daraufhin folgen) explizit auf den Tisch zu bringen, bleiben doch sonst nur allzu oft genau die Bedingungen implizit – und damit nicht zugänglich – die behindern, dass es eine wirksame Strafverfolgung und Verhinderung von Ökoziden gibt.
Faktisch erleben wir in der politischen Landschaft auch dann, wenn ökologische Krisen thematisiert werden, wie zu oft wirtschaftliche Interessen an allen anderen vorbei auf die oberste Prioritätsstufe geschoben werden (vgl. https://de.wikipedia.org/wiki/Primat_der_%C3%96konomie). Das heißt, Praktiken wirtschaftlicher Akteure, ökonomische (Partikular-/Profit-)Interessen werden per se als wichtiger erachtet und entsprechend ermöglicht und zwar, ohne dass betrachtet oder einkalkuliert wird, ob durch diese Praktiken und Interessen andere wichtige Bereiche und das Gemeinwohl auch im globalen Kontext zu Schaden kommen. Gleichzeitig zeigt sich in immer krasserer Absurdität und Deutlichkeit, wie diese herkömmliche Art zu Wirtschaften ökozidale Probleme erst erzeugt (vgl. die Quellen unter Punkt 1 und zwei Beispiele von vielen https://taz.de/Lausitzer-Braunkohlerevier/!6080793/; https://www.wiwo.de/unternehmen/energie/begehrter-rohstoff-lithium-abbau-in-argentinien-die-schattenseite-der-energiewende/29729746.html).
Es gibt auch jetzt schon diverse Umweltschutzgesetze, die nur nachgeordnet und schwach wirksam werden, die ergo oft nicht eingehalten werden, für die nicht zuletzt keine oder nur ansatzweise Kontrollen oder gar Strafverfolgung zu erwarten sind oder deren Prozesse vor Gericht Jahre und Jahrzehnte dauern – und deren Entscheide dann manchmal trotzdem nicht bindend sind.
Auch international erleben wir seit vielen Jahren Abkommen (https://de.wikipedia.org/wiki/Globaler_Biodiversit%C3%A4tsrahmen_von_Kunming-Montreal, https://de.wikipedia.org/wiki/UN-Klimakonferenz_in_Paris_2015), die in nationales Recht überführt werden sollen, aber in harten Widersprüchen mit anderen bestehenden gesetzlichen Bedingungen wieder zurück genommen werden oder einfach von vornherein sehr schwammig und so schwach formuliert sind, dass es ein Leichtes ist, sie so „umzusetzen“, dass die schlimmsten Zerstörungen außen vor bleiben, dass gerade die schlimmsten „Akte“ und Akteure nichts an ihren Praktiken ändern müssen, noch mit spürbaren Sanktionen zu rechnen haben, selbst dann nicht, wenn sie bereits geltendes Recht brechen.
Und mit wie viel Geld würde man einen zertretenen Käfer angemessen ersetzen? Wird er davon wieder lebendig? Wie viel Geld kostet also ein ganzer Baum mit ganz vielen Käfern? Was dann also der Amazonas, wenn der weg ist? Und was kostet es angemessener Weise, wenn gleichzeitig alle anderen Wälder zu CO2-Emittenten geworden sind, die die Erderhitzung weiter befeuern (https://www.ndr.de/nachrichten/info/Der-Wald-faellt-als-Helfer-bei-Klimaschutz-Zielen-aus,bundeswaldinventur102.html)? Geld als Strafe bzw. Abgeltung mit egal welchem Strafmaß steht also grundsätzlich zur Debatte. Es muss also mindestens persönliche Haftbarkeit und damit die ökozid-bezogene Verschärfung des Strafrechts hergestellt werden, insbesondere auch um mehr Abschreckung zu erzielen.
Wichtige aktuelle politische Entwicklungen zeigen, wie Ökozid als Straftatbestand zunehmend mehr Gewicht bekommt (vgl. https://de.stopecocide.earth/bn-2025/council-of-europe-assembly-advances-historic-ecocide-treaty). Klar ist allerdings, dass auch Haftstrafen keine Ökosysteme wieder herstellen. Im schlechteren Fall muss es mindestens um reale Wiederherstellung der ökologischen Intaktheit gehen, im besseren und eigentlichen Fall geht es aber um rechtzeitige Verhinderung der Schädigung, also des Ökozids.
Die Frage danach welche Akteure bzw. welche Produktion staatlich subventioniert werden, schließt sich unmittelbar an. Kann ein Staat Ökozid unter Strafe stellen, wenn er Praktiken und deren Akteure, die Ökozide verursachen oder befördern, zugleich (massiv) subventioniert? Und wie viel Geld ist hier also zerstörerisch gebunden, während es infrastrukturell und im Gemeinwohl und für ökologischen Umbau immer nur noch mehr fehlt?
Im deutschen Recht müsste neben dem Thema Ökozid als Straftatbestand im Umweltstrafrecht also mindestens auch das Verwaltungsrecht und das Wirtschaftsrecht an die Thematik angepasst werden. Weitere gesetzliche Kontexte sind auf jeden Fall auch zu prüfen. Für Deutschland wird gerade an einem umfassenden Änderungsgesetz gearbeitet, in dem wichtige Anpassungen für alle betroffenen Gesetze analysiert werden. Ergebnisse dazu werden nach der Sommerpause erwartet. Das berichtet aktuell Wolf Hingst von Stop Ecocide Deutschland.
Welche Begründung könnte es geben, den Erhalt unserer Lebensgrundlagen nicht im Kern der Gesetzgebung eines Landes zu verankern? Insofern schulden uns die gesetzgebenden Stellen einen stichhaltigen gesetzgeberisch und politisch eindeutig sichtbar realisierten Konsens darüber, der dies tut und uns also konsequent schützt. Das tangiert eben klar auch unsere Wirtschaft. Es geht hier nicht darum ein wie auch immer geartetes „Wirtschaften“ zu diskreditieren oder ökonomisch unmöglich zu machen. Es geht um die Veränderung der Mechanismen und damit der Folgen, mit denen finanzielle Profite und „Wert“ geschöpft werden darf (vgl. erster Punkt).
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Ein Ökozidgesetz muss sich an der Realität bemessen
Drittens kann sich der Ökozid-Frage auch über die lebenserhaltenden biophysikalischen Stoffströme, also die ökologischen Bedingungen selbst, genähert werden. Denn diese kennen wir wissenschaftlich inzwischen gut genug um sie als planetare Grenzen bestimmt zu haben, und zwar in Form quantifizierter Budgets (https://www.pik-potsdam.de/de/produkte/infothek/planetare-grenzen). Hier fragen wir nach unseren Lebensgrundlagen, wie Luft, Wasser, Essen und den ökologischen Netzwerken, die wir auch in Zukunft brauchen, um überhaupt überleben und gut überleben zu können.
Aus dieser Perspektive stehe ich fassungslos vor den Entwicklungen der letzten Jahre und Jahrzehnte. Denn seit den letzten Jahrzehnten ist bekannt, wie sehr wir aufs Spiel setzen, was auch das menschliche Leben zum Überleben braucht. Und seit den letzten Jahren zeigt sich zunehmend, dass wir es nicht nur möglicherweise aufs Spiel setzen, die Klimakrise ist keine „mögliche Bedrohung“ und auch nicht irgendwann, sie ist inzwischen da und sie ist nicht allein, denn unsere Lebensweise ruiniert quasi die gesamte ökologische Grundlage, von der wir als Menschen abhängig sind. Mithin ist das auch die Lebensgrundlage von all den anderen Lebewesen hier.
Wir sind praktisch jetzt schon in einem global stattfindenden Ökozid, der sich rasant ausweitet und vernichtend auswirkt. Eine Ökozidgesetzgebung muss also nicht nur auf einer unmissverständlich ernst gemeinten Ökozid-Definition aufbauen. Es geht nicht nur darum, sie im Gefüge des geltenden Rechts an die Stelle zu setzen, von der aus sie befolgt werden muss. Denn damit ein geltendes Recht abbilden kann, was gesellschaftlich gut und richtig ist, müssen wir endlich die Karten auf den Tisch legen und klären, wie wir unser Leben so umorganisieren , dass eben das genau verschwindet: nämlich dass, was wir als Wohlstand anstreben (oder bereits angehäuft haben), andere Menschen, Lebewesen und unsere Lebensgrundlagen ausbeutet, schädigt und zerstört.
Im Ökozidgesetz geht es deshalb bei Weitem nicht nur um illegale Müllkippen oder lokale Schäden. Es geht ums Ganze. Es geht darum, woher etwas kommt und natürlich auch darum, wer es war. Es geht ums Jetzt. Und es geht darum, was kommen kann und wird. Denn ohne Lebensgrundlagen gibt es kein Leben. Zuletzt stieg die CO2-Konzentration in der Atmosphäre doppelt so schnell wie in den 2000ern (https://gml.noaa.gov/ccgg/trends/gl_gr.html). Trotz des Ausbaus der erneuerbaren Energien. Keine der bisherigen Abkommen oder Gesetze konnte dies verhindern.
Der springende Punkt ist also: Wie können wir diese Gesetze so bauen, dass sie greifen, und wie müssen sie eingebettet sein in sämtliche sonstigen ökonomischen und geopolitischen Strategien, damit diesen Gesetzen Folge geleistet werden muss und wird — in der Realität und rechtzeitig, wo es noch möglich ist? Ein Gesetz zum Schutz vor Ökoziden muss uns tatsächlich und messbar zurück innerhalb die planetaren Grenzen bringen. Es ist damit ein entscheidender Teil eines umfassenden Programms, das globale Gerechtigkeit und gemeinsame Verantwortung umsetzt. Ein Programm, das uns als Menschen zurück bringt in ein tragendes Netzwerk ökologischer Bedingungen, aus denen wir geworden sind und von denen wir untrennbar abhängig sind. Einen ersten und groben Ansatz für diesen Bezugsrahmen liefert diese Publikation https://www.stockholmresilience.org/research/research-news/2024-01-23-planetary-commons-fostering-global-cooperation-to-safeguard-critical-earth-system-functions.html. Die konkrete Umsetzung in globales und nationales Recht sowie die Frage, wie das überhaupt bewerkstelligt werden kann, sind darin allerdings noch nicht beantwortet. Ein stichhaltiges Ökozidgesetz wird jedoch mit Sicherheit ein kritischer Teil davon sein.
Ich möchte für den Moment mit einigen weiterführenden Fragen schließen, die aufzeigen, wie viel in Frage steht und an wie vielen Punkten wir umdenken müssen. Es wird weitere Artikel hier geben, die einigen davon weiter nachgehen:
Für Privat-Trips ins Weltall darf aktuell die Atmosphäre, die unsere Luft zum Atmen produziert, zerstört werden? Ein Top-Angebot für eine handvoll reiche Leute, weil es sich finanziell lohnt, weil es ein Business ist, weil es um den Tourismus geht das gar als Innovation gilt? Weil irgendjemand das für ein cooles erstrebenswertes „Event“ in seinem Lebenslauf hält? (https://www.spiegel.de/panorama/jeff-bezos-rakete-mit-katy-perry-wir-sind-im-all-und-wieder-sicher-auf-der-erde-a-9f5e826d-0dd6-4dca-b457-c172f36b21a9). Während dessen sich ebenfalls reiche Menschen deshalb die letzten in Zukunft einigermaßen lebenswerten Gebiete auf der Erde kaufen und abschließen. Weil sie denken, dass es sie dann nicht mehr (be)trifft, wenn drumherum alles in Chaos und Flammen aufgeht ( https://www.theguardian.com/us-news/ng-interactive/2025/apr/13/end-times-fascism-far-right-trump-musk)? Ist das die Entwicklung, die wir wollen? Integriert mit der Gerechtigkeitsfrage (die unbedingt ebenso stichhaltig beantwortet werden muss), müssen Ökozidgesetze notwendigerweise so entwickelt werden, dass sie (1) real, (2) nachweislich und (3) schnell wirksam werden können.
Die oben angedeuteten Perspektiven können Zugangsachsen sein, weitere Fragen schließen sich natürlich an. Wir werden uns hier begleitend zu den gesetzgeberischen Arbeiten der nächsten Monate damit auseinandersetzen, Einschätzungen und Einordnungen anbieten für erforderliche kommende Schritte.
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ZUR AUTORIN
Nana Karlstetter hat Philosophie, Mathematik und Psychologie studiert und in Wirtschaftswissenschaften zu Flächennutzungskonflikten und ökonomischer Transformation unter Klima- und Biodiversitätskrise promoviert. Sie hat lange zu komplexen adaptiven Systemen gearbeitet, kennt sich mit agilem Prozessmanagement und Dynamic Capabilities aus, ist als Projektentwicklerin und Sustainability Expert tätig, sowie im Aufbau von nonkommerziellen und aktivistischen Projekten.
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ÜBERSETZUNGEN DER ENGLISCHEN ZITATE
[1]
„The concept of the criminalisation of ecocide — the large-scale destruction of our living environment — is again at the forefront of worldwide attention. […] Simply put, ecocide is the murder of nature. And yet, that type of murder isn’t a crime under any existing law. Not yet. This needs to change. […] Of the 35 planetary vital signs that scientists use to track climate change annually, 25 are at record extremes. You have the chance to make your implementation of the ECD a powerful tool in the fight against the ongoing war on nature — a war that, tragically, we are winning at an unprecedented scale. And if we win, we are all lost.“
„Das Konzept der Kriminalisierung des Ökozids – der groß angelegten Zerstörung unserer Lebensumwelt – steht wieder im Mittelpunkt der weltweiten Aufmerksamkeit. […] Einfach ausgedrückt, ist Ökozid der Mord an der Natur. Und doch ist diese Art von Mord nach keinem der bestehenden Gesetze ein Verbrechen. Noch nicht. Das muss sich ändern. […] Von den 35 planetarischen Lebenszeichen, mit denen Wissenschaftler jährlich den Klimawandel verfolgen, befinden sich 25 in einem extremen Rekordbereich. Sie haben die Chance, Ihre Umsetzung der ECD zu einem mächtigen Instrument im Kampf gegen den anhaltenden Krieg gegen die Natur zu machen – ein Krieg, den wir tragischerweise in einem noch nie dagewesenen Ausmaß gewinnen. Und wenn wir gewinnen, sind wir alle verloren.“
[2]
„The ECD obliges EU Member States to adopt certain environmental criminal laws, including an offence for ‘ecocide-like’ cases, within two years. This project seizes this moment to support effective and comprehensive criminalisation of serious environmental harm within the EU.“
„Die ECD verpflichtet die EU-Mitgliedstaaten, innerhalb von zwei Jahren bestimmte Umweltstrafgesetze zu verabschieden, einschließlich eines Straftatbestands für ‚ökozidähnliche‘ Fälle. Dieses Projekt nutzt diesen Zeitpunkt, um eine wirksame und umfassende Kriminalisierung von schweren Umweltschäden in der EU zu unterstützen.“
[3]
„ “ecocide” means unlawful or wanton acts committed with knowledge that there is a substantial likelihood of severe and either widespread or long-term damage to the environment being caused by those acts.“
“ „Ökozid“ bedeutet rechtswidrige oder vorsätzliche Handlungen, die in dem Wissen begangen werden, dass eine erhebliche Wahrscheinlichkeit besteht, dass durch diese Handlungen schwere und entweder weitreichende oder langfristige Umweltschäden verursacht werden.“
[4]
„This manual is designed to equip politicians, lawmakers, and legislative drafters with practical options to implement the ECD’s ecocide-like crime in their national legislation, should they wish to do so. This could be done as a stand-alone crime, or as part of a broader set of provisions.“
„Dieses Handbuch soll Politikern, Gesetzgebern und Verfassern von Gesetzestexten praktische Optionen an die Hand geben, um den Straftatbestand des Ökozids in ihre nationale Gesetzgebung aufzunehmen, falls sie dies wünschen. Dies könnte als eigenständiger Straftatbestand oder als Teil einer umfassenderen Reihe von Bestimmungen geschehen.“
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